bodo`s soziale Stadtführung… die etwas andere Stadtführung

Vor ein paar Wochen erfuhr ich davon, dass es in Bochum und Dortmund einmal im Monat von der obdachlosen Zeitung „bodo“, sogenannte Soziale Stadtführungen gibt.

Da Michaela und mich das Thema Obdachlosigkeit schon lange beschäftigt und wir viele Fragen diesbezüglich hatten, griff Michaela zum Telefon und meldete uns kurzerhand an.

Wer oder was ist „bodo“ und was ist eine soziale Stadtführung?!
„bodo“ (bochum-dortmund) ist ein gemeinnütziger Verein in freier Trägerschaft, dessen Ziel die Unterstützung und soziale Reintegration von Menschen in schwierigen Lebenslagen ist. Im Mittelpunkt des Engagements steht das vom Verein herausgegebene Straßenmagazin als Beschäftigungsprojekt für Menschen, die von Wohnungslosigkeit betroffen oder bedroht sind. Bei der sozialen Stadtführung wird den Teilnehmern gezeigt, was es bedeutet, in Dortmund wohnungslos zu sein und auf der Straße leben zu müssen.

Treffpunkt am Samstagvormittag war der bodo-Buchladen am Schwanenwall 36-38 in Dortmund. Wir hatte von dem Buchladen zuvor noch nie gehört. Dort kann man seine alten Bücher als Spende abgeben und bodo verkauft diese dann um das Straßenmagazin zu finanzieren. Diesen Buchladen kann ich nur empfehlen. Sehr großes Sortiment, gute Preise und man unterstütz mit dem Kauf ein tolles Projekt.

Begrüßt wurden wir von Günter, unserm Tour-Guide.
Günter lebte selber lange in Dortmund auf der Straße und weiß was es bedeutet, obdachlos zu sein. Familiäre Probleme trieben ihn damals dort hin. Seine Schlafstelle war damals am Kanal. Zu viert lebten sie auf der „Platte“. Zum einen, um Gesellschaft zu haben, zum anderen als Schutz. Es kommt immer wieder zu Gewaltexzessen gegenüber Obdachlosen. Da ist es besser zu viert zu sein. Außerdem muss jemand auf das Hab und Gut aufpassen, wenn man unterwegs ist um Geld zum Überleben zu organisieren.
Günters Sachen wurden in den Jahren auf der Straße drei Mal komplett zerstört.

Günter erzählte uns bei der Begrüßung, was bodo genau ist und macht.
Menschen in schwierigen Lebenslagen haben die Möglichkeit das Strassenmagazin bodo zu verkaufen. Der Verkaufspreis liegt bei 2,50€ das Stück. Die ersten 10 Exemplare erhält jeder kostenlos. So hat man nach dem Verkauf dieser Magazine 25€ verdient. Jedes weitere Heft kostet den Verkäufer 1,25€. Sprich, an jedem weiteren verkauften Magazin verdient der Verkäufer 1,25€. So kann ein Stück weit die Lebensgrundlage geschaffen werden und man erhält seine Menschenwürde zurück. Es muss nicht mehr auf der Straße um Geld gebettelt werden. Was außerdem hinzukommt, der Obdachlose hat wieder eine Aufgabe. Man lebt nicht einfach so in den Tag hinein, sondern erhält wieder ein wenig Struktur im Leben.
Ein weiteres Angebot der bodo: sie besitzen einen LKW. Dieser kann von jedem für größere Transporte bzw. Umzüge in und um Dortmund gemietet werden. Bei einem Umzug kommt vorab jemand zur Besichtigung der umzuziehenden Dinge vorbei und bestimmt dabei den Preis. Der Umzug wird dann von ehemaligen Obdachlosen vorgenommen. Hilfe zur Selbsthilfe auch hier das Motto.

Direkt neben dem bodo-Buchladen befindet sich das DROBS.
DROBS ist eine Drogenberatungsstelle. Dort haben Drogenabhängige die Möglichkeit sich saubere Spritzen zu holen. Diese können gegen benutze Spritzen getauscht oder gekauft werden. Das tauschen hat den Vorteil das benutze Spritzen so nicht auf der Straße herumliegen. Außerdem kann dort geduscht werden. Drogenkonsum darf in den Räumen nicht erfolgen. Angehörige von Drogenabhängigen können sich im DROBS Hilfe und Beratung holen.

Auf dem Weg zum nächsten Punkt stellten wir Günter die Frage, die uns schon lange Zeit beschäftigt. Nämlich, warum lebt man auf der Straße?!
Man bekommt doch immer gesagt, dass jeder in Deutschland Anspruch auf eine Wohnung hat. Die einzige Erklärung für uns war immer, dass man von vielen Schicksalsschlägen psychisch so kaputt ist, dass man sich keine Hilfe mehr holen kann. Günter bestätigte unsere Theorie. Ja so ist es bei vielen. Die Ämter machen es einem zusätzlich alles andere als einfach aus diesen Teufelskreis zu kommen. Alle haben ihre Geschichte, warum sie auf der Straße sind. Und irgendwann hat man einfach keine Kraft mehr gegen diese Windmühlen anzukämpfen.
Es gibt allerdings noch einen weiteren Grund, den wir bis dato nicht wussten.
Einmal auf der Straße angekommen, aus welchen Gründen auch immer, ist es extrem schwierig wieder eine Wohnung zu bekommen. Grund dafür, „OFW“!
OFW, dass ist ein Stempel den man in Dortmund in seinen Pass bekommt wenn man auf der Straße lebt… Er bedeutet „ohne festen Wohnsitz“.
Jede Stadt in Deutschland hat die frei Wahl dieses zu tun und in Dortmund ist das so. Günter sagte, du kannst ja mal versuchen mit diesem Stempel im Pass eine Wohnung zu bekommen, geschweige denn Arbeit.
Dann muss man auch bedenken, dass die Stadt nur Mietkosten in Höhe von 250€ übernimmt. Wo bekommt man eine Wohnung für 250€, fragte ich?! Ja die gibt es, dass sind auf dem Dortmund Wohnungsmarkt 2% der verfügbaren Wohnungen. Der soziale Wohnungsmarkt wurde Jahrzehnte verschlafen. Was die Sache in den letzten Jahren zusätzlich erschwerte ist, dass diese 2% auch mit den Flüchtlingen geteilt werden müssen, die ein Bleiberecht erhalten haben. Es gibt viel zu wenig dieser kleinen, bezahlbaren Wohnungen. Jetzt wurde uns vieles klarer. Das hatten wir so noch nie gehört.

Offiziell leben in Dortmund 400 Personen auf der Straße. Die Dunkelziffer sieht ein wenig anders aus. 6.000 Personen sollen es in Dortmund ca. sein.
Rechnet man jetzt 6.000 x 250€… sind das 1,8 Millionen Euro für Miete dieser Personen im Jahr. Mal ganz davon abgesehen, dass es die Wohnungen gar nicht gibt.
Hinzu kommt jetzt noch 327€ Sozialhilfe. So kommt man auf 45 Millionen Euro für Wohnung und Sozialhilfe im Jahr, nur allein in Dortmund. Jetzt wird mir langsam klar warum es Obdachlose so schwer bei den Behörden haben. Zum einen gibt es diese Wohnungen nicht, zum anderen: wer soll das bezahlen. Auf der Straße kosten diese Menschen die Stadt und die Allgemeinheit nichts! Bei dem Gedanken daran wird mir schlecht.
Und es wird noch schlimmer. Organisationen die sich um diesen Personenkreis kümmern, erhalten keinerlei Förderung, weder von der Stadt noch vom Staat. Diese Menschen machen es alle Ehrenamtlich und finanzieren ihre Verbrauchsgüter ganz allein durch Spenden. Was mich allerdings optimistisch stimmt ist, dass es sehr viele dieser Menschen in Dortmund gibt. Auch dies war mir bis heute nicht bewusst.

Jetzt waren wir am „Gast-Haus statt Bank“ auf der Rheinischen Straße gegenüber des „U“ angekommen. Auch diese Anlaufstelle wird von ehrenamtlichen Helfern betrieben. Begrüßt wurden wir von dem Vorsitzenden des Vereins, Werner Lauterborn. Er erzählte uns die Geschichte und Entstehung des Gast-Hauses.
„Wir sind ein unabhängiger gemeinnütziger Verein und sind ausschließlich auf Spenden angewiesen“, erzählte uns Herr Lauterborn.
Auf die Frage wie viele Menschen an diesem Morgen zum Frühstücken da waren, sagte er, nicht so viele, ca. 200. Er selbst hat für den Erwerb dieser Immobilie damals einen privaten Kredit aufgenommen.

JEDEN Vormittag von 8-11 Uhr erhält hier JEDER, der möchte, kostenlos ein reichhaltiges Frühstück. Es muss kein Nachweis erbracht werden, ob man in einer Notlage ist. Jeder ist hier herzlich willkommen!
Außerdem haben die Gäste die Möglichkeit, hier zu duschen und sich frische Wäsche zu beschaffen. Nach Bedarf kann auch eine Fußpflege in Anspruch genommen werden. Denn die Füße sind auf der Straße überlebenswichtig.
Hinzu kommt ärztliche Hilfe und medizinische Betreuung an drei Tagen in der Woche in der Arztpraxis neben an. Auch dieses Gebäude wurde aus eigenen Mitteln erworben.
An drei Nachmittagen in der Woche gibt es nachmittags Kaffee, Kuchen, Tee. Zusätzliche werden seelsorgerische Betreuung, Hilfe in Rechts- und Schuldnerfragen unentgeltlich von Fachleuten angeboten.
160 Ehrenamtliche Helfer stemmen dieses Projekt. Dabei fallen jedes Jahr um die 15.000 ehrenamtliche Stunden an!

Auch syrische Flüchtlinge engagieren sich mittlerweile ehrenamtlich, um mitzuarbeiten und, wie sie sagen, ein kleines Dankeschön zurückzugeben.
Ein paar weitere Zahlen: jedes Jahr werden hier um die 100.000 Frühstücke ausgegeben. 15.000 Gäste kommen nachmittags jährlich zu Kaffee und Kuchen. Es werden im Jahr um die 2 Tonnen Kaffee ausgeschenkt. 10.000 Arztbesuche. 3.000 Menschen nehmen die kostenlose Dusche in Anspruch und versorgen sich dabei gegebenenfalls mit frischer Wäsche.
So kommt es, dass ca. 6.300 T-Shirts, 5.200 Slips und Socken jährlich ausgegeben werden. Dazu, Jeans, Pullover, Anoraks, Schuhe usw.
In den gut 20 Jahren, in denen das Gasthaus nun besteht, haben mehr Gäste hier gefrühstückt als es Einwohner in Dortmund gibt.

DIES ALLES KOSTENLOS UND EHRENAMTLICH IN DORTMUND!
Ich empfinde es als unglaubliche Nächstenliebe, was diese Menschen in Dortmund auf die Beine gestellt haben.

Helfende Hände werden im „Gast-Haus statt Bank“ immer gebraucht. Jeder der helfen möchte ist herzlich eingeladen. Einfach vorbeikommen und reinschnuppern!

Weiter ging unsere Tour Richtung Nordstadt.
Dort passieren wir die Eisenbahnbrücke auf der Schützenstraße.
Vom U aus kommend sieht man rechts und links zwei Geländer. Hinter den Geländern befindet sich ein ca. 3m breiter Schacht. Hier schliefen früher unbemerkt Dutzende von Obdachlosen, sagt Günter. Die Stadt hat jetzt in die Schächte Spundwände eingezogen. Grund für die bauliche Maßnahme… Zitat der Stadt:

Eingänge in Stadtquartiere, vor allem wenn sie von Barrieren wie Straßen und Bahnlinien geprägt werden, sind die erste Visitenkarte für Bewohner und Besucher eines Quartiers. Sie prägen das Image des Quartiers in erheblichem Maße und laden ein oder stoßen ab.

Heute schlafen dort keine Menschen mehr. Grund ist, wenn es zu Übergriffe auf Obdachlose kommt, hat man durch die Spundwände keinerlei Chance mehr zu flüchten. Günter sagt, stell dir nur mal vor, ein uns nicht so ganz wohl gesonnener Dortmunder Bürge geht hier einmal mit dem Baseballschläger entlang, wenn wir schlafen. Du hast keine Chance zu entkommen!
Die Aussage bereitet mir eine Gänsehaut.
Auf die Frage, was das für Menschen sind die so etwas Krankes machen antwortet Günter, das sind ganz kaputte Typen. Die sind in der Gesellschaft auch nicht angekommen, genau wie wir und sie suchen sich dann einfach jemanden, an dem sie ihren Frust ablassen können. Da kommen wir nur gelegen.
Abgesehen von dieser Tatsache kann ich es mir nicht im Entferntesten vorstellen, an diesem Ort zu schlafen. Es herrscht hier nämlich ein Höllen-Lärm. Starker Autoverkehr und die Zug-Westeinfahrt zum Dortmunder HBF.
Günter meint nur, du gewöhnst dich an alles! Man konnte hier vor Wind und Regen geschützt schlafen. Da war der Lärm nur Nebensache.

Unser letzte Station, die Bahnhofsmission.
Man findet sie in Dortmund auf dem Bahnsteig 2-5. Wenn man den Bahnsteig hoch kommt, ganz nach rechts durch.
Die Bahnhofsmission hat es sich zur Aufgabe gemacht, gestrandete Menschen im Hauptbahnhof aus schwierigen Situationen zu helfen. Primäres Ziel: Hilfe zur Selbsthilfe. Geholfen wird aber auch Personen, die Schwierigkeiten haben von den Bahnsteigen zu kommen. Z.B. mit Rollstuhl, Kinderwagen oder Gepäck. Es gibt nämlich auf dem Dortmunder HBF nur an zwei Gleisen einen Aufzug.
Oder man kommt aus einer fremden Stadt und man wurde bestohlen. Geld und Zugticket sind weg. In solch einem Fall hilft die Bahnhofsmission weiter. Notfalls auch mit einem neuem Ticket, welches aber nachträglich erstattet werden muss.
Eine weitere Aufgabe der Bahnhofsmission ist die Begleitung allein reisender Kinder.
Diese muss spätestens 5 Tage vor der Reise angemeldet werden. Die Kosten dafür betragen 30€ pro Fahrt. Jeder erhält bei der Bahnhofsmission Hilfe bzw. Unterschlupf. Auch Reisende, die auf ihren Zug warten und nicht im Kalten stehen möchten. Dort kann ein Kaffee getrunken werden während man wartet. Es gibt dort sogar eine Zug-Anzeigetafel. Die Bahnhofsmission ist täglich von 8-20 Uhr geöffnet.

 
Fazit:
Was ich den gut drei Stunden erlebt und gesehen habe, hat mich nachhaltig beeindruckt. Ich gehe jetzt mit einem anderen Blick durch Dortmund.
Und ich werde Obdachlosen heute anders gegenübertreten. Es sind keine „Penner“, wie es gerne im Volksmund gesagt wird. Es sind Menschen mit großen Schicksalsschlägen. Menschen, mit einer oft harten Geschichte. Wir dürfen nicht wegsehen.
JEDER von uns könnte in solch einen Strudel geraten.
Es geht schneller als man denkt!

 

Homepage:

bodo: www.bodoev.de

Gast-Haus statt Bank: www.gast-haus.org

Bahnhofsmission Dortmund: www.bahnhofsmission-dortmund.de

DROBS Dortmund: www.drobs-dortmund.de